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Erschienen am 07.11.2024:
„Wir möchten junge Menschen für Informatik begeistern!“
Der Wettbewerb „Informatik-Biber“ ist gestartet
An vielen Schulen in Deutschland wird zurzeit der Informatik-Biber durchgeführt. Der Wettbewerb ist ein niedrigschwelliges Angebot der Bundesweiten Informatikwettbewerbe (BWINF), das Kindern und Jugendlichen Spaß an der Informatik vermitteln soll. Im Interview spricht die Online-Redaktion mit Dr. Wolfgang Pohl, BWINF-Geschäftsführer, über die Ziele und Inhalte des Formats, die weiteren BWINF-Wettbewerbe und darüber, warum es wichtig ist, das Fach Informatik an Schulen verbindlich einzuführen.
Online-Redaktion: Vom 4. bis 15. November 2024 findet der Informatik-Biber statt. Seit wann gibt es den Wettbewerb und wie ist er entstanden?
Pohl: Den Informatik-Biber gibt es in Deutschland seit 2007. Der internationale Wettbewerb ist 2004 in Litauen unter dem Namen Bebras Challenge - Bebras ist Litauisch und heißt Biber - auf Initiative von Prof. Valentina Dagiene gegründet worden. Nach dem Vorbild des erfolgreichen Känguru-Wettbewerbs in der Mathematik ist er ein einfach zugänglicher Wettbewerb mit Fragen, die für alle Schüler*innen zu bewältigen sind. Deutschland war mit BWINF einer der ersten Kooperationspartner der Initiative, seitdem sind Wettbewerbe in zahlreichen Ländern dazugekommen. Der Informatik-Biber ist ein erfolgreiches Format. Allein 2023 haben über eine halbe Million Schüler*innen teilgenommen.
Online-Redaktion: Woher hat der Informatik-Biber seinen Namen?
Pohl: In Anlehnung an den Känguru-Wettbewerb hat Frau Professor Dagiene überlegt, nach welchem Tier, das es in Litauen gibt, sie den Wettbewerb nennen könnte. Da sie auf ihren Wanderungen viele Biber gesehen hat, entstand die Idee, ihn Informatik-Biber zu nennen. Abgesehen davon spielt der Biber in einem speziellen Problem der theoretischen Informatik eine kleine Rolle und ist zumindest in Fachkreisen schon ein bekanntes Wesen.
Online-Redaktion: Was hat Sie dazu bewegt, den Wettbewerb nach Deutschland zu holen?
Pohl: Wir wollten ein Format entwickeln, mit dem wir möglichst viele Schüler*innen erreichen und sie für das Fach begeistern. Es ging uns auch darum, das Fach Informatik an den Schulen zu stärken. Informatik hat im Schulsystem noch nicht die Bedeutung, die wir Informatiker*innen gerne hätten. Mit dem Wettbewerb wollen wir Informatik verständlicher machen und das Bild, das viele von Informatik haben, korrigieren. Wir zeigen auf, dass Informatik nicht nur Programmieren, sondern vor allem Problemlösen bedeutet. Außerdem können wir über den Informatik-Biber Nachwuchs für unsere anderen Wettbewerbsformate gewinnen.
Online-Redaktion: Wer ist der Träger der Bundesweiten Informatikwettbewerbe?
Pohl: Es gibt drei Wettbewerbsträger. Die Gesellschaft für Informatik, die bereits 1980 den ersten Jugendwettbewerb für Computerprogrammierung ins Leben gerufen hat, den Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie und das Max-Planck-Institut für Informatik. Ermöglicht werden die umfangreichen Aktivitäten der Bundesweiten Informatikwettbewerbe durch die Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
Online-Redaktion: Kann man sich noch für den Informatik-Biber 2024 anmelden?
Pohl: Ja, das ist noch möglich. Teilnehmen können Schüler*innen der Klassenstufen 3 bis 13. Die Anmeldung läuft über die Schule bzw. über die Lehrkräfte. Diese melden meist die ganze Klasse oder den kompletten Kurs an. Die Schüler*innen nehmen dann einzeln oder als Zweier-Team im Klassenverbund am Wettbewerb teil. Wer noch kurzfristig einsteigen möchte, kann sich gerne bei uns melden, unter biber@bwinf.de.
Online-Redaktion: Und wie läuft der Wettbewerb ab?
Pohl: Der Informatik-Biber wird jedes Jahr im Herbst zwei Wochen lang in allen Bundesländern angeboten. Innerhalb dieser Zeit können die angemeldeten Schüler*innen den Test jederzeit durchführen, indem sie sich selbstständig einloggen. Einige Schulen nehmen mit bis zu 1000 Schüler*innen teil. Das kann nur organisiert werden, wenn man die Teilnahmen auf die zwei Wochen verteilt. Der Test selbst dauert 30 bis 40 Minuten. 30 Minuten an den Grundschulen, 35 Minuten in den Klassen 5 und 6 und ab der 7. Klasse sind es 40 Minuten. Gelöst werden müssen je nach Alter 9 bis 15 Aufgaben.
Online-Redaktion: Können Sie Beispiele nennen, was für Aufgaben die Kinder und Jugendlichen lösen müssen?
Pohl: Die Aufgaben sind Rätselfragen mit Informatikbezug und für jedes Alter unterschiedlich schwierig und komplex. Eine sehr einfache Aufgabe, die in den Grundschulstufen 3 und 4 gestellt wurde, ist zum Beispiel: Man möchte in einer Eisdiele ein Hörnchen Eis mit drei Kugeln bestellen und hat eine genaue Vorstellung davon, in welcher Reihenfolge man die Sorten genießen möchte. Die Frage lautet, in welcher Reihenfolge man die Kugeln bestellen muss. In der Informatik gibt es Strukturen, die genauso funktionieren wie bei einem Eishörnchen. Man erhält die gespeicherten Daten in der umgekehrten Reihenfolge zurück.
Online-Redaktion: Können Sie auch ein Beispiel für eine schwierige Aufgabe nennen?
Pohl: Ein Beispiel für eine komplexere Aufgabe wäre: In einer Stadt werden Wasserbrunnen benötigt, die von überallher gut zu erreichen sind, aber man möchte nicht an jeder Straßenecke welche aufstellen. Es sind schon fast alle Brunnen verteilt, einer fehlt aber noch, und man soll entscheiden, wo er platziert werden soll. Die Aufgabe könnte aktuell auch auf die Platzierung von Ladesäulen für E-Autos übertragen werden.
Online-Redaktion: Brauchen die Kinder und Jugendlichen Vorkenntnisse für den Informatik-Biber?
Pohl: Die Schüler*innen können die Aufgaben ohne Vorkenntnisse allein durch Nachdenken und Kombinieren lösen. Viele merken dabei, dass es ihnen Spaß macht, dass die Aufgaben ihnen liegen und gar nicht den Vorurteilen entsprechen, die sie von dem Fach Informatik hatten. Wer sich trotzdem vorbereiten möchte, kann mit den Aufgaben früherer Jahre trainieren. Wir haben alle Aufgaben der Wettbewerbe ab 2007 auf unserer Homepage veröffentlicht. Außerdem gibt es für Schulen, die sich frühzeitig angemeldet haben, noch den Schnupper-Biber als Trainingsformat. Das ist eine Art Probewettbewerb, der kurz vor dem Informatik-Biber absolviert werden kann. Seit letztem Jahr haben wir auch die sogenannten Biber-Tests im Angebot. Das sind kleine Biber-Wettbewerbe, die Lehrkräfte eigenständig für ihre Schüler*innen zusammenstellen können.
Online-Redaktion: Welche anderen Wettbewerbe veranstalten die Bundesweiten Informatikwettbewerbe noch und was unterscheidet diese vom Informatik-Biber?
Pohl: Wir haben vom breiten Einstieg bis hin zur Förderung von Spitzentalenten alles im Angebot. Der Informatik-Biber ist sozusagen der „Fuß“ unserer Wettbewerbs-Pyramide, weil man ohne Vorkenntnisse einsteigen kann. Entsprechend stark und breit ist auch die Teilnahme. Angefangen haben wir 1980 im Bereich der Talentförderung mit Wettbewerben für leistungsstarke Schüler*innen. Der Bundeswettbewerb Informatik eignet sich für Schüler*innen, die sich intensiv, über den Unterricht hinaus, mit Informatik beschäftigen. Hier müssen die Jugendlichen Programme schreiben, die jeweils ein Problem lösen, und ihre Lösungsansätze in einer schriftlichen Dokumentation festhalten. Für diese umfangreiche Arbeit haben die Teilnehmenden zuhause mehrere Monate Zeit. Um die Lücke zwischen dem Einstieg und der Talentförderung zu schließen, haben wir 2017 den Jugendwettbewerb Informatik ins Leben gerufen, mit dem wir junge Menschen dabei unterstützen möchten, programmieren und algorithmisch denken zu lernen. Das Format kommt sehr gut an, in diesem Jahr haben über 60.000 Schüler*innen teilgenommen. Darüber hinaus bereiten wir Spitzentalente auf internationale Wettbewerbe vor, wo Informatik auf Hochschulniveau betrieben wird. Die Internationale Informatik-Olympiade ist sozusagen die Programmierweltmeisterschaft für Schüler*innen.
Online-Redaktion: Halten Sie neben den Wettbewerben noch andere Angebote für Schüler*innen und Lehrkräfte bereit?
Pohl: Zur Vorbereitung für den Jugendwettbewerb stellen wir ein ganzes System von Trainingsmaterialien und -aufgaben zur Verfügung, das auch ohne Wettbewerbsbeteiligung genutzt werden kann. Viele Lehrkräfte verwenden es mittlerweile für ihren Unterricht. Auch bieten wir seit einem Jahr den Online-Kurs „algo.bwinf“ für fortgeschrittene Themen der Informatik und Algorithmenentwicklung an. Seit 2020 betreiben wir die Mädchenförderung „girls@BWINF“. Leider verlieren Mädchen oft das Interesse an Informatik, wenn sie älter werden. Das Programm besteht im Wesentlichen aus Informatik-Camps und einer digitalen Community für Mädchen. Es zeigt bereits erste Erfolge - im Talentbereich unserer Wettbewerbe steigen die Teilnehmerinnenzahlen, und wir beobachten, dass Mädchen bessere Leistungen erzielen und sich mehr zutrauen. Darüber freuen wir uns sehr! Außerdem können Interessierte auf unserer Webseite in der Rubrik „Mehr Informatik“ Hinweise auf interessante Bücher oder Veranstaltungen bekommen. Wir versuchen, ein One-Stop-Shop für junge Leute mit Informatikinteressen zu sein.
Online-Redaktion: Warum sind Informatikkenntnisse heute so wichtig für Kinder und Jugendliche? Wie finden Sie den Vorschlag der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), das Fach Informatik an allen allgemeinbildenden Schulen einzuführen?
Pohl: Wir begrüßen den Vorschlag und finden ihn sehr gut und sehr wichtig. Insbesondere die Gesellschaft für Informatik arbeitet ja schon seit vielen Jahren daran, die Rolle der Informatik im Schulunterricht zu stärken. Viele Systeme und Geräte wie Waschmaschinen, Autos oder auch Roboter werden durch informatische Prozesse gesteuert. Auch die neuen KI-Systeme laufen nach algorithmischen Prinzipien ab. In einer Gesellschaft, die dermaßen von diesen Systemen geprägt ist wie die unsere, kann nicht darauf verzichtet werden, Grundlagenwissen zu vermitteln, wenn junge Menschen eigenständig, bewusst und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben sollen. Wir befürworten deshalb, dass in der Schule allgemein unterrichtet wird, wie Informatiksysteme funktionieren. So können die Heranwachsenden auch die Vor- und Nachteile der Systeme besser einschätzen. Und natürlich wollen wir über den Informatikunterricht auch Nachwuchs gewinnen. Die ersten Schritte sind gemacht, Informatik ist in immer mehr Bundesländern Pflichtunterricht. Aber es fehlen noch einige Bundesländer, und auch da, wo es das Fach bereits gibt, könnte der Stundenumfang größer sein. Außerdem kann die Wahl des Fachs Informatik in der Oberstufe derzeit zu Benachteiligungen führen, da es den Naturwissenschaften nicht gleichgestellt ist.
Wolfgang Pohl ist Informatiker, studierte in Bonn und promovierte an der Universität Essen. In seiner Forschung befasste er sich mit KI-Methoden und deren Anwendung zur Verbesserung der Mensch-Maschine-Kommunikation. 1999 wechselte er Position und Perspektive und wurde Geschäftsführer des Bundeswettbewerbs Informatik. Dieses wichtigste deutsche Projekt zur Förderung von Informatiknachwuchs baute er zu den Bundesweiten Informatikwettbewerben (BWINF) aus, an denen mittlerweile jedes Jahr über eine halbe Million Kinder und Jugendliche teilnehmen. Ein aktueller Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Förderung Informatik-begeisterter Mädchen. Für sein Engagement wurde er 2011 mit dem Distinguished Service Award der Internationalen Informatik-Olympiade und 2022 mit der Ehrenmedaille des ABZ der ETH Zürich für Verdienste um den Informatikunterricht ausgezeichnet.
Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 07.11.2024
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Links zum Thema
- Informatik-Biber
- BWINF-Online-Kurs
- Mädchenförderung girls@BWINF
- Informatikmonitor der Gesellschaft für Informatik
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